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Forderungen KOBV Österreich

Forderungen des KOBV Österreich – Der Behindertenverband zur Gestaltung der österreichischen Behindertenpolitik

Österreichs Sozialsystem basiert auf Solidaritat und Armutsbekämpfung. Trotz hoher Budgetdefizite muss es erhalten und verbessert werden. Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2008 fehlt es jedoch noch immer an der vollständigen Umsetzung, wie der UN-Fachausschuss 2023 kritisierte. Notwendig sind klare finanzielle Mittel für inklusive Maßnahmen sowie eine gesicherte Finanzierung des Ausgleichstaxfonds, um die berufliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu unterstützen. Auch die Pflegevorsorge muss langfristig gesichert werden.

1. Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen

Ein bedeutender Schritt für die berufliche Inklusion war die Abschaffung der automatischen Arbeitsunfähigkeitsfeststellung für Jugendliche und junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr mit Jänner 2024. Damit soll jungen Menschen mit Behinderungen der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt erleichtert werden.

Entscheidend ist nun, dass Arbeitsmarktservice (AMS), Sozialministeriumservice und die Bundesländer gezielte Maßnahmen ergreifen, um betroffene Jugendliche bestmöglich bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Dazu zählen unter anderem individuell zugeschnittene Förderprogramme, berufliche Qualifizierung sowie finanzielle und arbeitsrechtliche Unterstützung.

Soziale Absicherung statt Taschengeldjobs

Ein großes Problem stellt die Beschäftigung in Tages- und Beschäftigungsstrukturen dar, bei der Betroffene lediglich ein geringes Taschengeld erhalten – ohne Sozialversicherungsschutz. Dies widerspricht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention. Eine faire Entlohnung sowie eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung sind daher dringend notwendig.

Gleichzeitig müssen spezielle Arbeitsangebote für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf geschaffen werden, um ihnen eine berufliche Perspektive zu bieten, ohne dass sie durch Teilnahme an Inklusionsmaßnahmen finanzielle Einbußen erleiden.

Im Rahmen der Richtlinie „Inklusive Arbeit“ können Bundesländer Fördermittel des Bundes nutzen, um Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf eine sozialversicherte Beschäftigung zu ermöglichen. Hierfür wurden vom Sozialministerium zusätzliche 36 Millionen Euro bereitgestellt – ein wichtiger erster Schritt. Langfristig sind jedoch weitere finanzielle Mittel notwendig, um einen echten Rechtsanspruch auf berufliche Unterstützung für Menschen mit Behinderungen sicherzustellen.

Teilzeitarbeit

Viele Menschen mit Behinderungen können aus gesundheitlichen Gründen keine Vollzeitbeschäftigung ausüben. Während technische Hilfsmittel oder Lohnsubventionen oft eine Lösung darstellen, fehlt es an Unterstützungsmöglichkeiten für jene, die aufgrund eingeschränkter physischer oder psychischer Belastbarkeit ihre Arbeitszeit reduzieren müssen.

Das aktuell bestehende Modell der Wiedereingliederungsteilzeit (seit 1. Juli 2017) ermöglicht eine schrittweise Rückkehr in den Arbeitsalltag nach längerer Krankheit – jedoch nur für maximal neun Monate und ohne Rechtsanspruch. Dies bedeutet, dass die Zustimmung des Arbeitgebers erforderlich ist, was für viele Betroffene eine Hürde darstellt.

Lösungsansätze:

  • Einführung eines Rechtsanspruchs auf Wiedereingliederungsteilzeit.
  • Langfristige Absicherung und Ausweitung auf mehr als neun Monate.
  • Einkommensausfälle durch behinderungsbedingt notwendige Arbeitszeitreduktionen sollen kompensiert werden.
  • Modell der Altersteilzeit (reduzierte Arbeitszeit bei Pensionszuschlägen) könnte auf Menschen mit Behinderungen angepasst werden.

Qualifizierter Kündigungsschutz

Der Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderungen ist essenziell, um Diskriminierung am Arbeitsmarkt zu verhindern. Die Lockerung dieses Schutzes im Jahr 2011 hat sich nicht als Anreiz für mehr Beschäftigung erwiesen. Stattdessen sollte die frühere Rechtslage wiederhergestellt werden, um die Arbeitsplatzsicherheit für Menschen mit Behinderungen zu stärken.

Neues Finanzierungsmodell statt Ausgleichstaxe

Das derzeitige System der Ausgleichstaxe – eine Abgabe für Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen – wird von vielen Arbeitgeber:innen als „Strafsteuer“ empfunden. Zudem fließen Mittel in den Ausgleichstaxfonds nur dann, wenn Pflichtstellen nicht besetzt sind, was langfristig nicht zielführend ist.

Eine sinnvolle Alternative wäre die Einführung eines Behindertenbeschäftigungsbeitrags:

  • Arbeitgeber:innen leisten eine fixe Abgabe (z. B. 0,3 % der Lohnsumme).
  • Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, erhalten Prämien statt Strafzahlungen.
  • Langfristig gesicherte Mittel für Inklusionsmaßnahmen.
  • Weniger Bürokratie für Unternehmen und Behörden.

Weitere Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung

  • Erweiterung und Verbesserung von Fördermaßnahmen für Arbeitgeber:innen, etwa durch verlängerte Entgeltzuschüsse und vereinfachte Antragsverfahren.
  • Sensibilisierungskampagnen für Unternehmen, um Vorurteile abzubauen und die Vorteile der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen hervorzuheben.
  • Schaffung von Integrationsplanstellen im öffentlichen Dienst, um die Beschäftigungspflicht zu erfüllen.
  • Stärkere Unterstützung durch Arbeitsassistenz, Job Coaching und persönliche Assistenz, um Menschen mit Behinderungen optimal auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten.
  • Bessere Finanzierung für Gebärdensprachdolmetscher:innen am Arbeitsplatz und in Weiterbildungen.

Tabaktrafikant:innen mit Behinderungen: Wirtschaftliche Absicherung notwendig

Mehr als die Hälfte der Tabaktrafikant:innen in Österreich haben eine Behinderung. Das Tabakmonopol stellt für sie eine wichtige Einkommensquelle dar. Durch die steigende Verbreitung von Nikotinpouches, E-Zigaretten und Tabakerhitzern außerhalb des Monopols geraten Trafiken wirtschaftlich unter Druck.
Die Einbeziehung dieser Produkte in das Tabakmonopol würde nicht nur die wirtschaftliche Existenz von Trafikant:innen mit Behinderungen sichern, sondern auch den Jugendschutz stärken.

Prävention und Rehabilitation: Arbeitsunfähigkeit vermeiden

Rechtzeitige Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitsunfähigkeit sind essenziell. Eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Krankenversicherungen und Rehabilitationsträgern könnte dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderungen langfristig arbeitsfähig bleiben. Zudem sollte es einen Rechtsanspruch auf umfassende berufliche Rehabilitationgeben.

Stärkung der Behindertenvertrauenspersonen

Gut geschulte Behindertenvertrauenspersonen (BVP) sind zentrale Ansprechpersonen für Menschen mit Behinderungen in Unternehmen. Ihre Stellung muss weiter gestärkt werden, um eine bessere Inklusion in Betrieben zu ermöglichen.

2. Bildung

Eine fundierte Schul- und Berufsausbildung bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt. Nur mit einer qualitativ hochwertigen Bildung erhalten sie die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt durch eigene Berufstätigkeit zu sichern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und gesellschaftlich unabhängig zu sein.

Inklusive Bildung als oberste Priorität

Das Recht auf inklusive Bildung muss für alle Kinder und Jugendlichen sichergestellt sein – auf jeder Stufe des österreichischen Bildungssystems. Dafür sind umfassende Maßnahmen erforderlich, die sowohl strukturelle als auch personelle und finanzielle Ressourcen berücksichtigen.

  • Frühkindliche Inklusion – Der Bildungsweg beginnt im Kindergarten. Inklusive Betreuung und Förderung sollen bereits in frühen Jahren selbstverständlich sein.
  • Barrierefreie Schulbildung – Kinder und Jugendliche mit Behinderungen benötigen gleichberechtigten Zugang zu allen Schulformen – von der Pflichtschule bis zur höheren Schule und Hochschule.
  • Flächendeckende inklusive Regionen – Inklusive Schulen müssen in allen Regionen ausgebaut werden, damit wohnortnahe Bildung gewährleistet ist.
  • Erweiterung des Rechts auf Ausbildung – Die Möglichkeit einer Ausbildung soll für Menschen mit Behinderungen mindestens bis zum 25. Lebensjahr bestehen. Zusätzliche Unterstützung durch gezielte Maßnahmen erleichtert den Zugang zur Berufswelt.
  • Hochwertige barrierefreie Bildungsangebote – Der Ausbau digitaler und physischer Barrierefreiheit sichert die uneingeschränkte Teilhabe an Unterricht und Studium.
  • Bessere Fortbildung für Lehrkräfte – Lehrer:innen und Schulaufsichtsbehörden benötigen umfassende Schulungen zur inklusiven Pädagogik. Die Anzahl an speziell qualifizierten Lehrkräften muss erhöht werden.
  • Individuelle Förderung von Schüler:innen und Studierenden – Jeder Mensch mit Behinderung hat unterschiedliche Bedürfnisse. Maßgeschneiderte Bildungsangebote verbessern die Lernbedingungen.
  • Persönliche Assistenz im Schul- und Hochschulbereich – Unabhängig von der Art der Behinderung muss Assistenz im Bildungsbereich garantiert sein.
  • Beratungsangebote für Eltern – Familien mit Kindern mit Behinderungen benötigen umfassende Unterstützung bei Bildungsentscheidungen.
  • Sensibilisierung für nicht behinderte Kinder und Eltern – Aufklärung und Informationskampagnen helfen dabei, Vorurteile abzubauen und das Bewusstsein für Inklusion zu stärken.

Ein modernes Bildungssystem muss allen Kindern und Jugendlichen faire Chancen bieten. Ohne barrierefreie und qualitativ hochwertige Bildungsangebote bleibt eine echte gesellschaftliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen unerreichbar. Der Staat und die Bildungseinrichtungen sind gefordert, langfristig nachhaltige Strukturen zu schaffen, damit niemand aufgrund einer Behinderung vom Bildungsweg ausgeschlossen wird.

3. Gesundheit und Rehabilitation

Gesundheit und Rehabilitation sind zentrale Faktoren für die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen. Ein modernes Sozialsystem muss darauf ausgerichtet sein, präventive Maßnahmen zu stärken, berufliche Rehabilitation flächendeckend auszubauen und sicherzustellen, dass Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht in existenzielle Not geraten.

Berufliche Rehabilitation: Ein entscheidender Faktor für die Reintegration

Die Reform von 2014 hat das Ziel, Menschen mit Behinderungen aktiv in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihnen eine langfristige Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Der mit 2016 eingeführte Rechtsanspruch auf berufliche Rehabilitation war ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.

Trotzdem bleibt ein zentrales Problem bestehen: Personen, die keine Pflichtversicherungszeiten durch eine frühere Erwerbstätigkeit vorweisen können, haben weiterhin keinen Anspruch auf berufliche Rehabilitation. Gerade für diesen Personenkreis wären effektive Maßnahmen zur Beschäftigungsfähigkeit entscheidend. Eine gesetzliche Anpassung, die hier für mehr Chancengleichheit sorgt, wäre dringend notwendig.

Pensionsvorschuss: Fehlende Absicherung führt zu Härtefällen

Ein großes Problem stellt der Wegfall des Pensionsvorschusses im gerichtlichen Verfahren dar. Während Personen mit bestehendem Dienstverhältnis durch Sonderkrankengeld abgesichert sind, geraten arbeitslose Betroffene in unzumutbare Situationen.

Praxisbeispiel:

Wird einer Person das Rehabilitationsgeld entzogen, weil angeblich die Mitwirkungspflicht verletzt wurde, erhält sie keine AMS-Leistungen, da sie offiziell als arbeitsunfähig gilt. Gleichzeitig bekommt sie keine Pension, da das Verfahren noch läuft. Diese Lücke führt zu finanzieller Notlage und erheblichem psychischen Druck.

Erforderlich ist:

  • Wiedereinführung des Pensionsvorschusses für die gesamte Dauer des Verfahrens.
  • Schnellere Verfahren zur Vermeidung langer Einkommensausfälle.

Medizinische und berufliche Rehabilitation müssen kombiniert werden

Eine zügige Rückkehr in den Arbeitsmarkt gelingt am besten, wenn medizinische und berufliche Rehabilitation parallel verlaufen. Derzeit gibt es jedoch keinen Rechtsanspruch auf kombinierte Maßnahmen, was zu unnötigen Verzögerungen führt.

Vorteile einer synchronisierten Rehabilitation:
✔ Schnellere Reintegration in den Arbeitsmarkt.
✔ Höhere Erfolgschancen für eine dauerhafte Beschäftigung.
✔ Reduzierung von Sozialkosten durch verkürzte Rehabilitationszeiten.

Ein entsprechender Rechtsanspruch auf kombinierte Maßnahmen wäre daher eine sinnvolle Ergänzung im bestehenden System.

Arbeitsrechtliche Hürden für Vertragsbedienstete

Personen, die ein Rehabilitations- oder Umschulungsgeld erhalten, werden laut § 15b AVRAG automatisch karenziert. Diese Regelung gilt jedoch nicht für Vertragsbedienstete, wodurch es immer wieder zu Problemen in der Praxis kommt. Eine gesetzliche Anpassung mit klaren Regelungen zur Karenzierung wäre notwendig, um unnötige Unsicherheiten zu vermeiden.

Bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden gefordert

Ein erfolgreiches System zur beruflichen Wiedereingliederung kann nur funktionieren, wenn alle beteiligten Stellen effizient kooperieren. Pensionsversicherung, Krankenversicherung und AMS müssen intensiver zusammenarbeiten, damit Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht durch bürokratische Hürden aus dem Arbeitsmarkt gedrängt werden.

Mehr Anreize für Unternehmen schaffen

Arbeitgeber:innen müssen verstärkt motiviert werden, auch Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen zu beschäftigen. Ein entscheidender Schritt wäre die Ausweitung von Fördermaßnahmen bereits ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 40 % statt der aktuellen 50 %.

Diese Anpassung hätte mehrere Vorteile:
✔ Mehr Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen hätten Zugang zu finanzieller Unterstützung.
✔ Unternehmen würden frühzeitig motiviert, betroffene Arbeitnehmer:innen zu halten.
✔ Die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen könnte nachhaltig gesteigert werden.

Pensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit: Hohe Abschläge abschaffen

Nicht jede Person mit gesundheitlichen Einschränkungen kann bis zur regulären Pension arbeiten. Wer eine Invaliditätspension in Anspruch nehmen muss, wird jedoch durch hohe Abschläge finanziell stark benachteiligt.

Da viele Betroffene keine Alternative zur Pensionierung haben, wäre es notwendig, die bestehenden Abschläge zu reduzieren oder ganz zu streichen. Ein gerechteres Modell würde verhindern, dass Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine andere Wahl haben, zusätzlich finanzielle Einbußen hinnehmen müssen.

4. Pflege

Das Bundespflegegeldgesetz (1993) sichert pflegebedürftigen Menschen finanzielle Unterstützung für betreuungsbedingte Mehrausgaben. Dieses Modell hat sich bewährt, doch die jahrelange Nichtvalorisierung des Pflegegelds hat zu einem erheblichen Wertverlust geführt. Erst 2020 wurde eine jährliche Anpassung eingeführt – ein wichtiger Schritt, der jedoch nicht ausreicht. Der entstandene Kaufkraftverlust von rund 40 % muss ausgeglichen werden.

Langfristige Finanzierbarkeit des Pflegesystems

Die steigende Zahl pflegebedürftiger Menschen erfordert nachhaltige Lösungen. Die verschärften Zugangsbeschränkungen für Pflegegeld (Stufen 1 & 2) seit 2011 stellen eine massive Hürde dar. Besonders die Erhöhung der erforderlichen Pflegestunden führte zu hohen Belastungen für Betroffene. Eine Rückkehr zu den ursprünglichen Regelungen wäre dringend erforderlich.

Ein nachhaltiges Finanzierungsmodell ist unerlässlich. Statt einer rein budgetfinanzierten Lösung könnte ein gesetzlicher Pflegesicherungsbeitrag Abhilfe schaffen. Während für Unfall, Krankheit und Alter vorgesorgt wurde, fehlt bislang eine solidarische Absicherung für Pflegebedürftigkeit.

Sachleistungen: Einheitliche Regelungen und bessere Versorgung

✔ Harmonisierung der Kostenbeiträge für Pflegeleistungen, insbesondere bei persönlicher Assistenz.
✔ Weiterentwicklung der 15a BVG-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern für eine flächendeckende, bedarfsgerechte Pflegeversorgung.

Mehr Unterstützung für pflegende Angehörige

Rund 80 % der Pflegebedürftigen werden von Angehörigen betreut – eine unverzichtbare Leistung für das System. Diese Personen leisten oft erhebliche finanzielle, physische und psychische Opfer. Wichtige Entlastungsmaßnahmen wären:

✔ Finanzielle Unterstützung verbessern – z. B. Angehörigenbonus ab Pflegestufe 3 und Entfall der Einkommensgrenze.
✔ Erweiterung von Erholungs- und Unterstützungsangeboten wie Kurzzeitpflege, psychologische Hilfe und Pflegekurse.
✔ Ausbau von Tagesbetreuung und mobilen Diensten zur Reduktion der Pflegebelastung.

Zukunft der Pflege: Personal- und Qualitätssteigerung

Bereits jetzt fehlen Fachkräfte – bis 2050 wird ein zusätzlicher Bedarf von 200.000 Pflegekräften erwartet. Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung der Pflegeberufe und Ausbau der Ausbildungsplätze sind dringend erforderlich, um einen Versorgungsnotstand zu verhindern.

Österreichs Pflegesystem benötigt strukturelle Reformen, faire Pflegegeldregelungen, eine nachhaltige Finanzierung und eine deutliche Stärkung der pflegenden Angehörigen. Nur so kann eine sichere und gerechte Pflegeversorgung gewährleistet werden.

5. Menschenrechte und Diskriminierungsschutz, UN-BRK

Reform des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes

Um Diskriminierung wirksam zu bekämpfen, müssen rechtliche Hürden abgebaut und Betroffene gestärkt werden. Wichtige Maßnahmen:

  • Beseitigung des Prozesskostenrisikos für Klagen wegen Diskriminierung.
  • Rechtsanspruch auf Unterlassung und Beseitigung von Diskriminierungen.
  • Finanzielle Unterstützung für Organisationen mit Klagerecht.

Barrierefreiheit als Grundvoraussetzung für Teilhabe

Barrierefreiheit betrifft alle Lebensbereiche und muss stärker ins Bewusstsein von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft rücken. Wichtige Schritte:

  • Öffentlichkeitskampagnen & Forschungsprojekte zur Förderung barrierefreier Lösungen.
  • Barrierefreiheit als Pflichtfach in relevanten Ausbildungen.
  • Förderungen an Einhaltung von Barrierefreiheitsstandards koppeln.
  • Beseitigung von Barrieren in öffentlichen Gebäuden beschleunigen.

Persönliche Assistenz für alle Menschen mit Behinderungen

Persönliche Assistenz (PA) ist entscheidend für selbstbestimmtes Leben. Das bestehende Pilotprojekt muss flächendeckend umgesetzt werden. Ein Rechtsanspruch auf PA und eine gesicherte öffentliche Finanzierung sind notwendig.

Armutsbekämpfung: Maßnahmen für soziale Sicherheit

Die Corona-Krise und die steigenden Lebenshaltungskosten haben viele Menschen mit Behinderungen an die Armutsgrenze gebracht. Dringende Maßnahmen:

  • Neugestaltung der Mindestsicherung mit bundesweit einheitlichen Richtlinien.
  • Leistbare Energie- & Mietpreise für einkommensschwache Personen.
  • Ermäßigte Fahrkarten für Menschen mit Behinderungen (ab 50 % GdB).
  • Erhöhung der Mobilitätsförderungen für Personen, die keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können.
  • Anhebung des amtlichen Kilometergeldes – 50 Cent pro Kilometer ab 2025 sind ein Schritt, reichen aber nicht aus.

Nationaler Aktionsplan Behinderung 2022–2030: Umsetzung sicherstellen

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist seit 2008 in Österreich in Kraft. Doch auch nach der Staatenprüfung 2023 bestehen erhebliche Mängel. Der Nationale Aktionsplan (NAP) 2022–2030 muss konsequenter umgesetzt werden.

  • Bundesweit koordinierte Maßnahmen mit gesicherter Finanzierung.
  • Regelmäßige Evaluierung & Weiterentwicklung durch Expert:innen.
  • Berücksichtigung der UN-Empfehlungen für eine konsequente Umsetzung der UN-BRK.

Ein inklusives Österreich braucht klare rechtliche Vorgaben, stärkere soziale Absicherung und eine konsequente Umsetzung bestehender Pläne. Barrierefreiheit, finanzielle Sicherheit und ein effektives Gleichstellungsrecht sind keine Privilegien, sondern Grundrechte.

6. Einschätzung von Behinderung

Die Evaluierung der Einschätzungsverordnung (seit 2010 in Kraft) muss dringend fortgesetzt werden. Der Gesamtgrad der Behinderung wird in vielen Fällen nicht nachvollziehbar oder sachgerecht festgelegt. Eine Novellierung von § 3 der Einschätzungsverordnung ist notwendig, um klar zu definieren, wann mehrere Funktionsbeeinträchtigungen zu einer Erhöhung des Gesamtgrades führen.

Mängel in der Begutachtungssituation

Beim ärztlichen Dienst des Sozialministeriumservice gibt es erhebliche Probleme:

  • Unzureichende Zeit für Untersuchungen durch Ärzt:innen.
  • Fachärzt:innen fehlen, manche Fachrichtungen sind gar nicht vertreten.
  • Sachverständige verweigern oft die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen, was Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zusätzlich erschwert.

Lösungen für eine gerechtere Einschätzung

  • Aufstockung des ärztlichen Dienstes und bessere Vergütung der Sachverständigen.
  • Intensivere Schulungen für Ärzt:innen, um die Qualität der Begutachtung zu verbessern.
  • Schnellere Verfahren durch mehr Fachkräfte und kürzere Wartezeiten.

Ein neues Modell der Einschätzung von Behinderung

Die derzeitige Einschätzung entspricht nicht der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Langfristig muss ein Begutachtungssystem entwickelt werden, das:

  • Fähigkeiten und Ressourcen der Betroffenen stärker berücksichtigt.
  • Notwendige Unterstützungsmaßnahmen für den Arbeitsmarkteinstieg ermittelt.
  • Einen Rechtsanspruch auf individuell angepasste Maßnahmen sichert.

7. Steuerrecht

Das österreichische Einkommensteuerrecht erlaubt die steuerliche Geltendmachung behinderungsbedingter Ausgaben als außergewöhnliche Belastungen. Allerdings sind viele Freibeträge seit Jahren unverändert, was zu finanziellen Nachteilen führt. Eine dringende Anpassung ist erforderlich.

Überfällige Valorisierung der Freibeträge

  • Lohnsteuerfreibeträge (§ 35 Abs. 3 EStG): zuletzt 2019 erhöht.
  • Freibeträge für Krankendiätverpflegung (§ 2 VO BGBl II Nr. 303/1996): unverändert seit 2002.
  • Mobilitätsfreibetrag für Kraftfahrzeuge (§ 3 Abs. 1 VO BGBl II Nr. 303/1996): unverändert seit 2011.
  • Monatlicher Betrag für Taxifahrten (§ 3 Abs. 2 VO BGBl II Nr. 303/1996): unverändert seit 2002.

Viele Menschen mit Behinderungen können diese steuerlichen Vorteile nicht nutzen, da sie kein oder ein zu geringes Einkommen haben.

Dringende Verbesserungen gefordert

✔ Direktzahlungen für Menschen mit Behinderungen, die steuerlich nicht profitieren können.
✔ Erhöhung der Freibeträge für Krankendiätverpflegung, Mobilitätskosten und Taxifahrten.
✔ Berücksichtigung der Freibeträge auch bei Pflegegeldbezug.
✔ Familienbonus für Erwachsene mit erhöhter Familienbeihilfe über das 18. Lebensjahr hinaus.
✔ Anhebung der Einkommensgrenze für Partner:innen auf € 12.000 für die Geltendmachung behinderungsbedingter Mehraufwendungen.
✔ Anerkennung von Mitgliedsbeiträgen für Behindertenverbände als Werbungskosten.

Menschen mit Behinderungen müssen steuerlich fair behandelt werden. Eine rasche Anpassung der Freibeträge und gezielte Unterstützungsmaßnahmen sind unverzichtbar, um finanzielle Benachteiligungen auszugleichen.

8. Bewusstseinsbildung und Information

Seit dem Behindertengleichstellungspaket (2006) hat sich die Lebenssituation vieler Menschen mit Behinderungen verbessert – vor allem durch gezielte Information und Bewusstseinsbildung.

Laut Art. 8 der UN-Behindertenrechtskonvention ist Österreich verpflichtet, das öffentliche Bewusstsein zu stärken und die Achtung der Rechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern.

Notwendige Maßnahmen

✔ Informationskampagnen zur UN-Konvention und den Rechten von Menschen mit Behinderungen.
✔ Gezielte Sensibilisierung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
✔ Bessere Beratung & finanzielle Absicherung von Beratungsdiensten, die von Behindertenorganisationen angeboten werden.

Inklusion beginnt mit Bewusstsein. Eine nachhaltige Förderung von Informations- und Beratungsangeboten ist entscheidend, um die Rechte von Menschen mit Behinderungen langfristig zu stärken.

Wien, im Februar 2025

KOBV Österreich – Der Behindertenverband
Präsident Franz Groschan
Generalsekretärin Dr. Regina Baumgartl
1080 Wien, Lange Gasse 53
Tel.: 01/406 15 86 – 42
E-Mail: kobvoe@kobv.at