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Welt-Bewegungsstörungstag 29. November

Neue Hoffnung für Ataxie-Patient:innen durch Fortschritte in Diagnose und Therapie

Ataxie betrifft Jung und Alt – Früherkennung ist entscheidend 

Anlässlich des Welt-Bewegungsstörungstags (WMDD) am 29. November informiert die Österreichische Parkinson Gesellschaft (ÖPG) umfangreich über Ataxien, eine Gruppe von Bewegungsstörungen, die Menschen jeden Alters betreffen kann. Symptome sind unkoordinierte Bewegungen, Gleichgewichtsstörungen und undeutliches Sprechen.

Einerseits kann Ataxie als Symptom Ausdruck eines Schlaganfalls, eines Tumors oder einer Multiplen Sklerose sein und sollte immer neurologisch abgeklärt werden. Andererseits gibt es Ataxien als eigenständige Krankheitsgruppe; diese werden oft erst spät erkannt, gehen mit sozialer Isolation und gesellschaftlicher Stigmatisierung einher und können stark beeinträchtigen.

Es wird geschätzt, dass alle Ataxien zusammen etwa einen von 5.000 Menschen betreffen. Ataxie als Symptom wird oft mit Schwindel verwechselt oder in der Frühphase übersehen. Für einige gibt es erstmals wirksame Therapien.

„Ataxien sind seltene Erkrankungen, betreffen hauptsächlich die Bewegungsabläufe wie Gehen und Stehen. Sie bedeuten für Betroffene eine beschränkte Lebenszeit und einen deutlichen Verlust an Lebensqualität. Frühzeitige Diagnostik und genetische Diagnosesicherung sind wichtig, um geeignete Therapiemaßnahmen einzuleiten“, erklären Priv.-Doz.in Dr.in Sylvia Boesch, MSc und OA Dr. Wolfgang Nachbauer, PhD von der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck, einem europäischen Referenzzentrum für seltene Bewegungsstörungen. Beide sind Mitglieder der Österreichischen Parkinson Gesellschaft (ÖPG).

Weltweit wird intensiv nach weiteren Therapien gesucht. Physio-, Ergo- und Sprechtherapien sind die oft einzigen Möglichkeiten, den Betroffenen zu helfen. Hilfe finden diese zunächst beim Neurologen / bei der Neurologin und wenn notwendig in spezialisierten Zentren für Bewegungsstörungen.

Über die ÖPG

Die Österreichische Parkinson Gesellschaft ist eine medizinische Fachgesellschaft mit dem Ziel, die Diagnostik und Behandlung von Menschen mit Parkinson-Krankheit (Morbus Parkinson) und anderen Bewegungsstörungen zu verbessern. Besondere Anliegen sind die Förderung von Forschung im Bereich Bewegungsstörungen, die kontinuierliche Fortbildung von medizinischem Fachpersonal und die Information von Betroffenen und der Öffentlichkeit über den Morbus Parkinson und verwandte Erkrankungen.


Ataxie – Hintergrundinformationen

Was ist Ataxie?
Der Begriff „Ataxie“ leitet sich vom griechischen Wort „a-taxia“ für „fehlende Ordnung“ ab. Bei Ataxie
ist das Zusammenspiel verschiedener Muskelgruppen gestört. Dadurch leiden das Gleichgewicht und
die Bewegungskoordination.
Eine Ataxie ist somit eine Störung der Bewegungskoordination und Haltungsinnervation.
Sie äußert sich in „ungenauen Bewegungsabläufen“ im gesamten Körper.
Haltungsaufgaben, insbesondere wichtig für Stehen und Gehen, sind gemeinsam mit einer
Bewegungsungenauigkeit der Grund für die Gleichgewichtsstörung im Stehen und Stürzen beim
Gehen. Bewegungsungenauigkeit der Zunge führt zum lallenden Sprechen. Auch Augenbewegungen
können gestört sein.
Beispiel: Aufgaben, die ein hohes Maß an Bewegungskoordination und Gleichgewichtssinn
voraussetzen, wie zum Beispiel das Fahrradfahren – und damit auch das Auf- und Absteigen vom
Fahrrad –, sind bei Ataxie erschwert. Menschen mit Ataxie sind mit dieser Aufgabe oft früh im
Krankheitsverlauf gefordert oder können es gar nicht mehr und fallen um.

Wodurch entsteht Ataxie?
Ataxie entsteht durch eine Störung der Funktion des Kleinhirns (Cerebellum) und seiner
Verbindungen zum Großhirn, Hirnstamm oder Rückenmark. Das Kleinhirn ist das Kontrollorgan für
das Zusammenwirken von Muskelbewegungen (Koordination), für die Feinabstimmung von
Bewegungsabläufen und für die Regulierung der Muskelspannung. Das Kleinhirn hat die Aufgabe,
Bewegungsabläufe und Körperhaltung im Sinne einer „Qualitätskontrolle“ fein abzustimmen.
Kommt es zu einer Funktionsstörung oder zu einem Abbau von Kleinhirn-Nervenzellen (Atrophie),
entsteht eine (zerebelläre) Ataxie. Weitere Ursachen sind auf Fehlfunktionen im peripheren
Nervensystem (sensible Ataxie) und im Rückenmark (Hinterstrangsataxie) zurückzuführen. Ataxien
sind demnach Erkrankungen des Kleinhirns und seiner Verbindungen, deren Leitsymptom eine
fortschreitende oder episodische Ataxie ist.
Eine Schädigung des Kleinhirns kann sich – je nach betroffener Region im Kleinhirn oder einer
Verbindungsbahn – typischerweise auf das Gleichgewicht, die Balance oder den Gang, auf das Timing,
die Genauigkeit oder die Koordination von Bewegungen, auf den Erwerb motorischer Lernfähigkeiten
und motorischer Fertigkeiten oder auf bestimmte Aspekte der geistigen (kognitiven) Funktionen
auswirken. Störungen der Kleinhirnfunktion haben zahlreiche Ursachen, beispielsweise angeborene
Fehlbildungen des Kleinhirns (Zysten, Fehlen von Teilen des Kleinhirns), erbliche (hereditäre) Ursachen
(genetische Ataxien) und erworbene Schädigungen (z. B. durch Alkohol, Schlaganfall, Multiple
Sklerose).

Die verschiedenen Formen der Ataxie
Der Begriff Ataxie wird in erster Linie zur Beschreibung von Symptomen verwendet. Daneben dient
er aber auch zur Bezeichnung einer Gruppe von Erkrankungen. Es handelt sich dabei nicht um eine
spezifische Diagnose, sondern um einen Überbegriff für eine sehr heterogene Krankheitsgruppe – die
Ataxien.
Die Ataxien – ganz gleich, ob sie nun erblich (hereditär) oder nicht erblich (sporadisch) oder im Leben
erworben sind – sind Erkrankungen des Kleinhirns und seiner Verbindungen, deren Leitsymptom eine
Ataxie ist.

Auflistung der Ataxien nach ihrer Ursache (mit Beispielen)

Erbliche/genetische (hereditäre) Ataxien

  • Autosomal-dominante Ataxien, z. B. spinozerebelläre Ataxien (SCAs)
  • Autosomal-rezessive Ataxien, z. B. Friedreich-Ataxie
  • Mitochondriale Ataxien, z. B. MERRF, NARP, oder MILS
  • X-chromosomale Ataxien, z. B. FMR1, Adrenomyeloneuropathie

Sporadische Ataxien (nicht erblich, unklare Ursache, degenerativ)

  • Sporadisch (idiopathische sporadische zerebelläre Ataxien)
  • Multisystematrophie vom zerebellären Typ (MSA-C)
    Erworbene Ataxien
  • Toxisch, z. B. Alkohol (häufigste Ataxie überhaupt)
  • Medikamentös, z. B. Phenytoin (Antiepileptikum) u. v. a.
  • Vaskulär, z. B. Schlaganfall
  • (Para)infektiös, z. B. virale Kleinhirnentzündung v. a. bei Kindern
  • Autoimmun, z. B. multiple Sklerose
  • Auto-Antikörper-vermittelte Ataxien,(z. B. SREAT, GAD, Ma2, CV2 u. v. a.
  • Paraneoplastisch (also indirekt durch Tumorerkrankungen verursacht, zum Teil durch
    Antikörper (Hu, Yo, Ri)
  • Raumforderung/Tumor, z. B. Medulloblastom bei Kindern, Metastasen im Kleinhirn
  • Ernährungsbedingt, z. B. Vitamin-B1-Mangel
  • u. v. a.

Wie häufig sind Ataxien?
Es wird geschätzt, dass alle Ataxien zusammen etwa 1 von 5.000 Menschen (kumulative Prävalenz)
betreffen. Degenerative, erbliche und sporadische Ataxien können in jedem Lebensalter auftreten.
Weltweit wird die Prävalenz von degenerativen Ataxien (genetisch, sporadisch) auf etwa 10–
20:100.000 beziffert. Schätzungen zufolge sind in Deutschland rund 16.000 Personen von
degenerativen Ataxien betroffen. Etwa 30 % davon gelten als sporadisch degenerative Ataxien, deren
Ursache unklar bleibt. Daneben gibt es mehr als 200 verschiedene erbliche, molekular gut definierte
Ataxien. Die häufigste erbliche Ataxie ist die Friedreich-Ataxie. Etwa 2–4 von 100.000 Einwohner:innen
in Süd-/Mitteleuropa sind von Friedreich-Ataxie betroffen, weltweit sind es rund 15.000 Menschen mit
Friedreich-Ataxie.

Links:
Selbsthilfegruppe für Betroffene der Friedreich-Ataxie (FA)
www.friedreich-ataxie.at
Dachverband für Selbsthilfegruppen und Patient:innenorganisationen im Bereich seltener
Erkrankungen: www.prorare-austria.org
Erklärvideo Ataxie Biogen
https://shorturl.at/SzzyA
apa Science Podcast “Seltenen Bewegungskrankheiten auf der Spur“ 23.2.2023:
https://shorturl.at/VmZi8